Tina Glaser
veröffentlicht in FLIM, Wien, November 2007
Ich habe nur fünf Filme gemacht, halb so viele wie ich vorhatte. Ich nahm an, dass ich zu diesem Zeitpunkt, wenn ich zehn gemacht hätte, sterben und so dem Ruhestand entgehen würde. Außerdem wär´s zu spät, als dass sich irgendjemand noch die Mühe machen müsste, mich zu ehren.
John Cook (geb. 26. November 1935, gest. 21. September 2001)
Ich habe meinen ersten Cook - Film im März 2006 im Wiener Filmmuseum gesehen. Zu diesem Zeitpunkt war er schon einige Jahre tot. Eigentlich war es ja der eigenwillige Titel des Films, der mich dazu bewegt hat, hinzugehen, denn von einem John Cook hatte ich bis dahin noch nie was gehört. Das spricht vielleicht nicht für mich, aber auch nicht für den öffentlichen Umgang mit dem Erbe des damals (mit einigen Ausnahmen) ohnehin nicht unbedingt aufregenden österreichischen Filmgeschehens. „Ich schaff´s einfach nimmer“, so lautet der Titel und ich war neugierig. Zudem, fand ich, spiegelte sich darin auch ein wenig meine eigene Situation wieder: die Ausbildung war beendet und ich hatte wenig Lust bei den neoliberalen Spielchen der Arbeitswelt mitzutun. Ich hatte Lust einen Film zu machen oder eine Geschichte zu schreiben. Der Leichtigkeit der Ideen stand aber die bleigewichtige Realisierungsfrage entgegen. Kurz, ich hatte kein Geld, keine Erfahrung und kaum jemanden, der mich nicht für unrealistisch oder schlichtweg faul hielt. Dass es in John Cooks „Ich schaff´s einfach nimmer“ dann inhaltlich (klarerweise) um etwas ganz anderes ging, war gleichgültig. Beeindruckt hat mich sofort die Schlichtheit und Vorsicht, mit der Cook das Leben eines seltsamen Ehepaares (die Geschichte des jungen Zigeuners Petrus, der eine Karriere als Boxer machen will und seiner viel älteren Frau Gisi, einer Hausbesorgerin) im Wien des Jahres 1972 porträtierte. Ein Dokumentarfilm der anderen Art. Nichts erinnert an die plumpe Herangehensweise einer „Alltagsgeschichten “- Sendung von Elisabeth T. Spira. Cook schaffte es durch möglichst uninszenierten Aufnahmen, dem Beibehalten der natürlichen Redeweise von Gisi und Petrus und dem sparsamen Einsetzen einer Erzählerstimme, etwas sehr Gegenwärtiges auf die Leinwand zu zaubern. Man spürt ganz deutlich, dass Cook nichts erzählen will, was ihn nicht unmittelbar umgibt. Cook kannte die beiden, weil Gisi seine Putzfrau war und ihm von ihrem Mann, dem Boxer, erzählte.
„In der Gesellschaft von Leuten wie Gisi und Petrus hab ich mich bedeutend wohler gefühlt als in dem Wiener Künstlermilieu dieser Zeit, das mir sehr inzestuös vorgekommen ist. Als wir den Film angefangen haben wusste ich nicht, ob auch nur geringste Aussichten bestanden, dass sich Petrus´ Träume von einer Boxkarriere erfüllen könnten – aber ich wollte sie eine Zeitlang mit ihm teilen, um es herauszufinden.“ Diese Unabgeschlossenheit verhindert wohl auch die sonst oft so überlegene Position des Regisseurs. Die Porträtierten und er befinden sich auf der gleichen Ebene. Ähnliches kann man auch in seinen anderen Filmen finden, die ich mich mir alsbald ansah. Cook arbeitete ausschließlich in kleinem Rahmen und mit Laiendarstellern. Teilweise aus Geldmangel, hauptsächlich jedoch, weil es dem, was er wollte, mehr entsprach. Cook war Fotograf, bevor er nach Wien kam. Er lebte einige Zeit in Paris und arbeitete für internationale Modemagazine, wie „Harper´s Bazaar“ (New York). Er kannte sich in der Welt der Werbung und Models bestens aus. Zu gut, wie er fand und wollte bald nichts mehr damit zu tun haben. „Die hygienische Idee der Schönheit wurde für mich immer abstoßender“, so Cook. 1968 geht er mit seiner damaligen Freundin, der Österreicherin Elfie Semotan, die an seinem ersten Film „Ich schaff´s einfach nimmer“ mitarbeitete und heute selbst eine berühmte Fotografin ist, nach Wien. Nach der Römerquelle - Kampagne schloss Cook endgültig mit der Werbebranche ab und beginnt mit dem Filmen.
Nachdem ich „Ich schaff´s einfach nimmer“ gesehen hatte, schienen die Bleigewichte der Vernunft meine Ideen jedenfalls nicht mehr ganz so tief nach unten zu ziehen. Cooks Freude am Filmen und sein schlanker Stil machten Sinn und Mut. Kurz darauf sah ich Langsamer Sommer von 1974-76, seinen zweiten Film, der nun zwischen Dokumentar- und Spielfilm hin- und herpendelt.
„Ich dachte damals, dass Dokumentarfilme aussehen sollten wie Spielfilme und Spielfilme genauso ein Gefühl für die Realität vermitteln müssten wie gute Dokumentarfilme“, so Cook. In unglaublich leichtfüßiger Manier schafft es Cook in „Langsamer Sommer“ sein Leben und das seiner Bekannten, ihre und seine Schwierigkeiten zwischen Arbeit und Müßiggang aufzunehmen und so ganz nebenbei, ohne große Gesten, auch noch das Wien der 70er zu porträtieren. John Cook spielt sich selber samt seinem Sprachfehler und der rührenden Art englisches Österreichisch zu sprechen, ebenso verhält es sich mit seinen Freunden Helmut Boselmann, dem Filmemacher Michael Pilz und seiner damaligen Frau Hilde. Jeder hatte einmal die Kamera in der Hand. Wichtig ist, dass mit dem Filmen nicht erst begonnen wurde, als sich das mühsame Rad der Filmförderung zu drehen begann. Im Gegenteil, gefilmt wurde mit einer Super 8 Kamera und für den Ton musste ein stinknormaler Kassettenrecorder herhalten. Michael Pilz darüber: „So einen Anspruch auf „Professionalität“, den hat der John nie gehabt, schon gar nicht den Anspruch, der damals gegolten hat. Er wollte ganz wo anders hin. In der Schlussphase, wie es um ein Blow-up auf 35mm gegangen ist und darum, den Ton halbwegs zu synchronisieren, erst dann haben wir uns bei der Filmförderung angestellt.“
An dieser „Unprofessionalität“ stieß sich dann auch manche Stimme der Kritik. Doch auch Positives war zu hören. Film privé oder Tagebuchfilm wurde er wegen seiner minimalistischen Machart oft genannt. Franz Manola, ein Filmkritiker der Tageszeitung Die Presse verglich ihn damals mit Filmen von Jean Eustache („La Maman et la putain“). Und dennoch ist „Langsamer Sommer“ ganz anders als das französische Kino dieser Zeit. Olaf Möller schreibt dazu in dem ausgezeichneten Buch John Cook. Viennese by Choice, Filmemacher von Beruf über die Unterschiede: „Unter „Tagebuchfilm“ verstand man also, (...), zu diesem Zeitpunkt bloß bedingt ein strikt autobiografisches Werk, sondern eine Art narratives, fiktionales Kino, das persönlich ist und sich aus der Realität seines Machers schöpft. Realität, nicht Wirklichkeit, und um einen selbst ging´s so direkt auch nicht: Worum es ging – auf der Meta-Ebene, post – ´68, vor diesem Hintergrund muss man Thome und Eustache hier sehen – , war ein Rückzug ins Private, eine Poesie des Verfließens, eine Ahnung des Scheiterns. Bei Thome und Eustache (vielleicht), aber bestimmt nicht bei Cook, der schließt nämlich mit nichts ab, der öffnet sich, den Dingen wie der Zeit (...); Cook mag den Stillstand gespürt haben, doch in ihm kribbelt´s und zieht´s, und das sieht man in Langsamer Sommer.“
Gefallen hat mir auch die beiläufige Art durch die sich Themen, wie die Problematik zwischen Künstlermilieu und Arbeiterschicht scheinbar wie von selbst aus der Geschichte des Films entwickeln. Da ist einer, hab ich mir gedacht, der nicht versucht, etwas von außen an den Film heranzutragen. Es fällt schwer filmische Parameter für Cooks Arbeiten zu finden. Michael Omasta und Olaf Möller sehen diese eher in der zeitgenössischen Literatur, denn in dem Filmgeschehen; bei Leuten wie Gustav Ernst, Helmut Zenker und Franz Schuh. Die beiden letzteren hatten ja auch in John Cooks nächstem Film mitgearbeitet – „Schwitzkasten“ von 1978.
„Schwitzkasten“ ist so etwas wie das Schlüsselwerk unter Cooks Filmen. Erzählt wird der Alltag (nach dem Roman „Das Froschfest“ von Helmut Zenker) des jungen Arbeiters Hermann Holub, der zwischen Arbeitslosigkeit und gescheiterten Versuchen, sein Leben in den Griff zu bekommen, hin- und her taumelt. Gezeigt wird die „Ohnmacht und Chancenlosigkeit eines Ungelernten, der nicht skrupellos genug ist, sich auf Kosten anderer durchzuschummeln, aber politisch wach genug, um zu durchschauen, wie er ständig übervorteilt wird“, so Sigrid Löffler anno 1979 im Profil. Durch seine ungeheure Beobachtungsgabe blickt Cook, der ja von außen, aus Kanada nämlich, kommt, tiefer in Teile der österreichische Gesellschaft, als so manch anderer. Seine Zeit im Jetzt zu porträtieren, das war ihm wichtig und daher mochte er auch Zenkers Buch: „die Stärke des Buches liege vor allem in der Atmosphäre des heutigen Österreich, Österreicher, die ihr Leben jetzt leben – ohne Literarische Nostalgie, das sei wesentlich für einen modernen Film“, so Cook. Wie schon bei den anderen beiden Filmen, hat man auch in „Schwitzkasten“ das Gefühl, dass Cook die Menschen, von denen er erzählt, ernst nimmt. Sie werden nicht aus und bloßgestellt, um dem Regisseur als Werkzeug für seine technischen Raffinesse zu dienen. Das wollte Cook nicht. Cook hat begriffen, dass gerade das Arbeiten mit Laiendarstellern eine besondere Sensibilität fordert. Er wollte keine Fallstudie machen. „Schwitzkasten findet das Politische im Privaten, ohne das Private je zur Idiotie verkommen zu lassen, er findet die ganze Welt in Wien (...)Schwitzkasten verkörpert, schließlich, für einen Moment, das Ende des (Austro-) Provinziellen“, so Olaf Möller.
Umso unverständlicher und tragischer ist es, dass Cook dann ein paar Jahre später an eben diesem „(Austro-)Provinziellen“ scheitern musste. Nach Schwitzkasten hat er nämlich nur noch einen Film in Kooperation mit der österreichischen Filmförderung gemacht: „Artischocke“ von 1982. Da ich ihn leider selber nicht gesehen habe, kann ich nicht viel darüber sagen. Anscheinend hat aber damals alles schon angefangen zu bröckeln. Jedenfalls war das der letzte Film, den Cook in Österreich drehte. Sein Projekt „Brömmer“, eine Kriminalgeschichte, eine persönliche Reflexion über die wienerische Form von Kriminalität, ist dann vom ORF knallhart abgeschmettert worden, obwohl es von der österreichischen Filmförderung schon eine Förderungszusage gab. Für Cook war das das Ende seines Filmschaffens in Österreich und laut Berichte war er schwer von dem Zynismus des ORF getroffen. Jedenfalls verließ er auch Wien und zog wieder nach Frankreich, wo er dann 1990 noch einen 60 minütigen Dokumentarfilm über einen jungen Stierkämpfer drehte („José Manrubia Novillero d´Arles“). Im September 2001, kurz nach Fertigstellung seiner Autobiografie, stirbt John Cook 66-jährig in Arles.
Nun reihe ich mich also ein in die Liste der „Versuche, den zweifelhaften Status Geheimtipp zu brechen“. Mir haben die Filme unter anderem ein Gefühl von Möglichkeiten vermittelt. Die Möglichkeit durch genaue Beobachtung und Sensibilität mit geringen Mitteln einen flüchtigen Moment der Zeit festzuhalten. Dafür bin ich Cook dankbar und spreche ihm, auch wenn er es nicht wollte, meine späte Verehrung aus.
Nachsatz: Cooks Oeuvre ist im österreichischen Filmmuseum in Wien archiviert und kann auch dort, nach Kontaktaufnahme mit dem Büro, gesichtet werden. Der Film Langsamer Sommer kann bei dem Filmemacher Michael Pilz erworben werden.
Literatur: Michael Omasta, Olaf Möller (Hg.), John Cook. Viennese by Choice, Filmemacher von Beruf, FilmmuseumSynema Publikationen, Wien 2006
Michael Omasta, Eine Frage des Vertrauens. Versuch einer Rekonstruktion von John Cooks „Schwitzkasten“. In: Der neue österreichische Film. Gottfried Schlemmer (Hg.), Wespennest-Film, Wien 1996
© Tina Glaser