Gespräch mit M.P., 11. Mai 1985

Wiedergabe einer gerafften maschinschriftlichen Abschrift der Tonbandaufzeichnung eines Gesprächs, das am 11. Mai 1985 zwischen Christa Blümlinger und Michael Pilz in der Wohnung von Michael, Beate und Rosemarie Pilz, in Wien 4, Wiedner Hauptstrasse 35/2/13 im Zusammenhang mit Christa Blümlingers Diplomarbeit am Institut für Publizistik der Universität Salzburg stattfand und das Christa Blümlinger am 2. September1996 an Michael Pilz übermittelte.

Tonband–Kassette 1

Michael Pilz:
Ich hab' einfach alles gemacht, was möglich war. Mein Fehler war, daß ich mich so manisch und unrealistisch darauf konzentriert hatte, Filme zu machen ...
Die Beweggründe, warum man etwas beruflich oder sonst wie wird, die sind in uns selber angelegt ... Zwangshandlungen ... Mehr oder weniger wollen wir etwas ... Meine (etwas jüngere, Anm.) Schwester ... Hat mir einmal gesagt, als kleines Kind war ich jemand ... Wenn ich etwas wollte, dann war nichts in der Welt da, was mich davon hätte abbringen können.
Das ist ja eine neurotische Zwangshandlung ... Man verbeißt sich so sehr in eine Idee, in eine Vorstellung ... Nicht in das Begreifen der Realität ... Das würde Arbeit bedeuten, ... Anstelle diese Arbeit zu leisten, im Begreifen der realen Verhältnisse, versteigt man sich in eine Idee und versucht, diese Idee innerhalb dieser Umstände, die herrschen, real und konkret zu realisieren.
Die meisten Menschen, die Filme machen (wollen), zählen zu diesen Zwangsneurotikern, was individualgeschichtlich ein Nachteil sein kann, weil sie furchtbar darunter leiden, wenn etwas nicht geht, weil sie mehr oder weniger unfähig sind, die realen und konkreten Umstände als Basis für ihr Leben zu nehmen und stattdessen den realen Verhältnissen Ideale aufzwingen wollen ... Das Positive daran ist, dass gerade das auch Leistungen hervorbringt, die, weil die Beweggründe eigentlich so unbewusst sind, zu einer Lösung der Verstopfung (führen können), zum Beispiel, Jesus Christus war auch ein Wahnsinniger ... Wesentlich ist dabei, dass Leute, die Filme machen wollen und machen, diese Tätigkeit als eine SELBSTTHERAPIE erkennen sollten. Das erste Publikum bin ich mir selbst, danach gibt es lange nichts ... Natürlich die gesellschaftlichen Umstände, unter denen ich lebe, die Menschen, mit denen ich zusammen lebe — jetzt, wenn wir da sitzen —, ich weiß nicht, ich habe das Gefühl, dass ich einiges vermittelt habe ...
Im Grunde kann man wirklich nicht sagen, warum man etwas macht ... Wenn man eine Ablehnung erfährt, dann sollte man eine Ablehnung nicht unbedingt objektivieren und nach außen projizieren, sondern man sollte sich fragen, ob man da nicht eine Vorstellung einer Wirklichkeit aufzwingen wollte zugunsten dessen, selbst weniger leiden zu müssen ...
Kulturell gesehen würde ich sagen, vor allem dass im Westen, aber auch im so genannten Osten ... Die größte Krankheit derzeit ... Die Arbeitslosigkeit ist, aber nicht die der aufgezwungenen Arbeit, sondern die der Unfähigkeit, überhaupt zu arbeiten, der Unfähigkeit, sich zu bewegen ...
(C. Blümlinger spricht von einem "Teufelskreis": Abweisung — Trotz, vergleicht mit Bernhard Frankfurter, Anm.)

(M. Pilz spricht zur Metapher: sich nicht mehr aus dem Haus trauen, Anm.)

Michael Pilz:
Es sind nicht die objektiven Gegebenheiten, sondern es ist viel mehr die Tatsache, dass der Schritt auf die Strasse einen weiteren zur Folge hat und der wieder einen ... Und so weiter, das Leben ist ja in Bewegung und das heißt Arbeit, Tun, Wahrnehmen, Reagieren — auf die Seite springen, wenn die Straßenbahn vorbeifährt — man muss einfach was tun ...

(M. Pilz spricht zum Beispiel "Zen–Buddhismus", Anm.)

Michael Pilz:
Schlafen, schlafen, wachen, wachen, der Übergang vom Schlafen in das Wachsein, der erfolgt prompt ...

Das Wesentlich ist aber das, was Lao tse gesagt hat: "Nimm das was vor dir ist so wie es ist ..." (... wünsch' es nicht anders, sei einfach da) ... Der Versuch, es zu wagen, zu begreifen, was ist. Wenn man Angst davor hat, eine Watschn zu kriegen oder einen Rück- oder Niederschlag, dann ist es schwer.
Und da komm ich auf unsere Kultur und unser Gesellschaftssystem zurück: Das Leben in Österreich zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass zum Beispiel Erziehung — und das ist das Wesentlichste eigentlich, woran man arbeiten könnte: ich meine das Verhältnis zwischen großen und kleinen Menschen, zwischen "sich selbst privilegierenden" Menschen und unterprivilegierten Menschen ...

(Exkurs: M. Pilz spricht über sich als ehemals trotziges Kind ... Heute überwiegt das Prinzip des Handelns "trotz mannigfaltiger Gefahren", Anm.).

Michael Pilz:
Was das so genannte dokumentarische Filmen in Österreich angeht, würde ich sagen und mich historisch einschließen, dass wir alle viel zu lange gewartet haben. Der Godard hat einmal gesagt, vor vielen, vielen Jahren, wenn er einmal kein Geld gehabt hat ... Beim ersten Film hat er es aus der Kasse der Cahiers de Cinéma gestohlen ..., oder wenn er kein Geld gehabt hat, hat er aus Fotos Filme gemacht, oder in Gesprächen Filme gemacht ... Was heißt Filme machen? ... Eigentlich ist das eine so privilegierte Handlung, dass man sie schon gar nicht anstreben sollte.
Es gibt auch Kollegen, die sagen, "der hat's ja leicht, der hat das Geld vom Staat bekommen". Ich hab' ein Jahr lang gearbeitet, simpel gearbeitet.
Und ich habe das schon vor fünfzehn Jahren erfahren, bei einem meiner ersten Filme ... Da hab' ich was geschrieben und was machen wollen, das hab' ich dann zufällig wohin gegeben ... (der Kunstförderung der Stadt Wien, Anm.) ... Und dann war das längst vorbei, vergessen. Ich hätte mein Leben damals ändern wollen, vollkommen, wenn nicht irgendwann dann doch noch ein Brief gekommen wäre, wo drinnen stand, "ja" ... Da hab ich damit angefangen, das, woran ich nicht mehr geglaubt hatte, wieder aufzunehmen ...

Wer sagt, dass in Österreich Filme gemacht werden sollen? Wo steht das geschrieben, wer hat das Recht? (Es folgt ein kurzer Vergleich mit der gesetzlich verankerten Filmförderung in der BRD, Anm.). Keiner hat hier einen Anspruch auf Förderung. Die Filmförderungsgremien deklarieren das in jedem Brief, dass es keinen Anspruch gibt. Das sind Zufälle (wenn jemand eine Förderung erhält, Anm.). Dann soll der Einzelne sich — und ich tue das täglich, im wachen und im schlafenden Zustand — mit der Situation so anfreunden, dass er mit allem rechnet. Und bitte — dann war's halt net. Ich halte das längst für eine Scharlatanerie, zu sagen: die Leut' sind schlecht in einer Jury ... Das ist uninteressant. Sollen sie machen, was sie wollen. Ich mach auch, was ich will.

Christa Blümlinger:
Das war ja für dich auch ein Weg!

Michael Pilz:
Das ist ein Weg. Der hat sehr viel mit Himmel und Erde zu tun, mit der Tatsache, dass ich den Film machen konnte, aber hätt' ich ihn nicht gemacht, würde es sicher anders ausschauen. Nur, eines weiß ich: das Kernproblem ist die Frage, "Filme machen oder nicht": Wie können wir zu arbeitenden Menschen werden? Das was in der sozialistischen Idee angelegt ist, das, was in den
Dreißiger- und Vierzigerjahren (des Zwanzigsten Jahrhunderts, Anm.) sozusagen die kommunistische Idee war, das war vordergründig eine Außenprojektion, wenn es zum Beispiel um die Frage der Solidarisierung ging und die Herstellung der ökonomischen Verhältnisse als Voraussetzung für ein anderes Leben. Im Grunde war es — und ist es bis heute geblieben — eine Außenprojektion von vielen, vielen individuellen inneren Geschichten, wo im einzelnen nicht Fall begriffen wird, was eigentlich wirklich ist ... Sozusagen objektiv ...
Und weil das Begreifen des Subjekts von Widerständen begleitet ist, die, wenn sie nicht begriffen werden, auch nicht das Subjekt begreifen lassen ... Daraus ergibt sich auch der Trend zur Solidarisierung, die löst aber nicht das einzelne Problem des Widerstands ... Weil Widerstände Außenprojektionen sind ... Jeder hat andere Widerstände ... In der Solidarisierung sollte eigentlich die Rede von den Widerständen sein und wo ist eigentlich Widerstand begreifbar, machbar. Weil das nicht machbar — denkbar ist ... Du kannst nur ständig in der Reflexion sein, aus den Schritten, die du selber machst, lernen. Das einzige Rezept ist: Gehen. Schauen, was dabei passiert, gleich wie ... Wenn's halt zufällig oder vermeintlich absichtlich kein Geld gibt von den Filmförderungen, kann es nicht heißen: Ich kann net gehen — oder der ursprüngliche Beweggrund ist gar kein echter ...

(M. Pilz spricht darüber, dass es diesen zu ergründen gälte, Anm.)

Michael Pilz:
Deswegen heißt es auch in meinem Film Himmel und Erde am Schluss: Scheinbar wiederholen sich die Dinge immer. Scheinbar. Das ist eine Bequemlichkeit.

So eine konkrete Formulierung (Fragebogen, Anm.) hat ja auch einen Sinn ... Es entspricht dem, was ich schon vor Jahren gesagt habe, was man machen sollte in diesem Land — gerade im Dokumentarfilm(bereich), weil ja die Schweizer das gemacht haben. Die, die Filme machen — und es ist sehr gut, wenn man die Dokumentarfilmer fragt, weil sie immer die eigentlichen Filmer und die Spielfilmer eigentlich die Psychopathen sind, die noch viel weniger begreifen ... Solche Fragen zu stellen, und es wäre schön, wenn also das Wesentliche ... wobei das Wesentliche auszuwählen immer eine Zensur bedeutet, man sollte alles komplett zu veröffentlichen ...

(zu Punkt 1, "Bezeichnen Sie sich selbst als Dokumentarfilmer?" ... M. Pilz liest vor, Anm.)

Michael Pilz:
Da könnte ich "ja" sagen, mit der Einschränkung, das "Dokumentar" gehört weg. Meine hauptsächliche Tätigkeit offizieller Art ist Filme machen, sicher. Und mit Himmel und Erde hab' ich sicherlich so etwas wie einen Dokumentarfilm gemacht. Zumindest war die Methode eine der beobachtenden Annäherung ...

Tonband–Kassette 2

Michael Pilz:
Wieso macht man denn einen oder mehrere Dokumentarfilme? Ich glaube ... Dass uns die meisten Beweggründe überhaupt nicht bekannt sind, ... Und wir das Wenige, das wir wissen, als so großartig bezeichnen. ... Jene, die sich der nicht kontrollierten Beobachtung und Darstellung bedienen, ... Also die Brüder Lumière haben die Kamera aufgestellt und haben das passieren lassen, was vor der Kamera passiert ist ...
In meiner Wahrnehmung, schon im Alter von vierzehn Jahren, als ich zum Filmen angefangen hab', da war das Wesentliche nicht das Drehen, sondern das Anschauen dessen, was gedreht wurde.

Christa Blümlinger:
Vielleicht auch die Dissonanz zu dem, was Du beim Drehen wahrgenommen hast?

Michael Pilz:
Natürlich! Weil gewisse Gefühle ja wieder erweckt werden durch das Anschauen des gedrehten Materials. Insofern bin ich ein Dokumentarfilmer und werde es auch immer sein ...

Christa Blümlinger:
Ist die Frage "Spielfilm — Dokumentarfilm" bei dir nicht auch so eine prinzipielle Sache? Du drehst derzeit einen Spielfilm in Ungarn, hast davor Himmel und Erde gemacht ...

Michael Pilz:
Das Ganze ist nicht noch einmal in dieser Form zu machen, weil ich das Glück hatte, das Geld zu kriegen, um diesen Film zu machen und dieses Glück ja nicht planbar ist ... Weil sich ja auch viel verändert hat und es ist das Glück, dass es mir möglich war, diese Veränderung auch wirklich zu machen und auch darzustellen. Bei Menschen, die ähnlich empfinden und ähnlich wahrnehmen und sich wahrscheinlich auch ähnlich ausdrücken, hab' ich immer festgestellt, dass es eine Kongruenz gibt — der Erfahrungen ... Besonders bestimmte filmende Menschen ...

Der Spielfilm, den ich jetzt mache (Noah Delta 2, Anm.), unterscheidet sich insofern nicht von dem, was ich bisher gemacht habe ... Es war von Anfang an klar, dass ich unter allgemein schlechten ökonomischen Bedingungen die Arbeit werde machen müssen und so hab' ich halt
versucht, ein Konzept zu machen, der Bilder und Töne und der Bewegung von Bildern, das in gewisser Weise vordem Drehen schon festgeschrieben ist, das sich aber auf Grund der Erfahrungen während des Drehens, durch die Auseinandersetzung mit den dann herrschenden Umständen und nicht zuletzt durch das, was das gefilmte Material ergibt, natürlich auch verändern kann. Weil: für einen Film kriegst du ja nicht viel Geld. Und du musst schauen, dass du mit dem Geld und mit der Zeit und mit den Leuten, die du hast, das realisierst, was dir halt möglich ist. Und in dem Moment, wo es passiert und wo es dokumentiert ist, ist es ja wieder nicht zensuriert und dann hängt es davon ab, was zensuriert wird und wieweit die Zensur erkannt wird ... also die Arbeit und Methode der Verhaltensforschung ist meine Technik. Und ich hab' immer gesagt, ich bin ein Vierundzwanzig–Stunden–Pro–Tag–Filmer und manchmal fällt davon Filmmaterial ab und das ist als ein Dokument dann auch anderen zugänglich. Aber die Lebensweise unterscheidet sich bei mir überhaupt nicht von der Arbeitsweise. Die Arbeitsweise ist eher noch beeinflusst durch Umstände, die von einer bestimmten Form der Arbeitsweise und von anderen Personen herrührt ... Das ist das große Problem beim Filmemachen.

Christa Blümliner:
Hast du bei Himmel und Erde die Kamera selbst bedient?

Michael Pilz:
Größtenteils. Zu neun Zehntel.
Jetzt (Noah Delta 2, Anm.) ist es ein Teamwork, das ging gar nicht anders ... Vorbilder? ... Es gibt nur noch ein Hindernis. Ich hab' immer das Gefühl, dass es dem Herrn Bresson gelungen ist, bessere Dokumentarfilme zu machen, als ich sie mache. Das heißt, ich kenn' ja nicht alle Leute, die Dokumentarfilme machen. Es geht nicht um die Selbstwahrnehmung, sondern auch um die vermittelte Wahrnehmung, um den Dialog. Insofern ist es immer schwer, über solche Sachen zu reden wie hier, wenn nicht konkret an der Arbeit oder an dem zu arbeitenden Gegenstand geredet werden kann. Zum Beispiel habe ich gesagt, man hätte dieses Drehbuch, das ich geschrieben habe und in drei Versionen geschrieben habe, so übersetzen müssen, dass die Sprache auf der einen Seite in Unkenntnis dessen, was im Bild passiert, übersetzt hätte werden müssen und das, was im Bild passiert, in Unkenntnis der gesprochenen Worte ... Weil meine Technik darin besteht, dass ich die Sprache scheinbar getrennt vom Bild behandle, aber in meinem Verständnis von Leben, Erleben und von Wirklichkeit es Deutungsmöglichkeiten bedarf, um zu begreifen und diese Deutungsmöglichkeiten nur in Form von Widersprüchen bestehen, jedoch nur scheinbaren und nicht tatsächlichen. Zum Beispiel, das was in Himmel und Erde stellenweise ja so gut ist, nämlich dass sich die Sprache mitunter überhaupt nicht zum Bild verhält, aber im Verlaufe der Geschichte ein ganz bestimmtes Verhältnis zum Bild bekommt ... Gleiches gilt auch für den Ton ... Dass ein Gefühl evoziert wird, dass etwas mit etwas zu tun hat — aber "wie": Das ist die Frage. Also bei meinem jetzigen Film kann sich der Zuschauer fragen: Was ist eigentlich los? War ich im Kino? Wo bin ich?
Da ist alles gesagt, was in Himmel und Erde fünf Stunden dauert und vielleicht für manche auch Längen hat ... Konzentriert auf zwei Stunden ...
Es geht nicht darum, lange über einen Film nachzudenken, sondern es geht nur darum, sich selbst zu empfinden ...

(M. Pilz spricht über das, was beim Spielfilmdreh wichtig ist: Dekor, Ausstattung, seine Art, alles auf das Wesentliche zu konzentrieren. Auch darin Reflexion der Gesellschaftstheorie, zum Beispiel, "Warencharakter" — Sohn–Rethel, während der Dreharbeiten zu Himmel und Erde gelesen. Zur Zeit Bunuel–Biographie, Anm.).

Michael Pilz:
Die einzige Dokumentarfilmschule, die mir nahe steht, ist die Psychoanalyse. Ich hab' ihn nie gesehen, aber der Film "Geheimnisse einer Seele" von G. W. Papst sei wirklich ein seltsames Beispiel von Filmkunst, von Arbeit ...
Eine bestimmte dokumentarische Methode hab ich sicher nicht entwickelt. Leider kenn' ich keinen Film, der Himmel und Erde gleich- oder nahe kommt — ich kenn' nicht alles. Ich kenne die Menschen im Allgemeinen. Und ich bin jemand, den das Filmschaffen anderer eigentlich nicht interessiert. Manchmal hab' ich Gelegenheit, mir zwei Minuten irgendwas kurz anzuschauen. Oder irgend einen Schnitt ... Damit weiß ich die Haltung und auch den Charakter und das genügt mir ...

Christa Blümlinger:
Um Himmel und Erde machen zu können, hast du ja einer Entwicklung bedurft: Zeit zur Verfügung gehabt ...

Michael Pilz:
Darüber lässt sich soviel sagen ... das Biographische zu nehmen halt' ich für völlig falsch, weil es nur den herrschenden Methoden der Wahrnehmung entspräche, die wahren Verhältnisse nicht erklären würde ...
Ich bin überzeugt davon, dass jeder Mensch im Moment seines Sterbens oder seines sich so Drastisch–Veränderns erkennt, was er vorher war und wo es dann hin geht. Das ist der entscheidende Vorgang, glaub' ich, im Leben ... Die Wahrnehmung des Todes halt' ich gerade für filmende Menschen für sehr, sehr wichtig. Die Bereitschaft zu leiden und im Leiden etwas zu erkennen, das ist die Grundvoraussetzung. Das kann man sich nicht aussuchen ... Das ist wirklich dem Zufall anheim gegeben.
(M. Pilz spricht zu einem Vergleich mit dem US–Philosophen Alan Watts, der in hohem Alter in Berkeley, wo er lehrte, liebend gern beispielsweise Luftballons steigen ließ ... Kind sein, Anm.).

Michael Pilz:
Das Erinnern ist etwas ganz Wesentliches. Das Er–Innern und nicht das Ver–Äussern. Insofern bin ich ein Gegner von Fernsehen und von Gegenständlichem ...
Himmel und Erde ist ein Film, der sich überhaupt nicht "verwaren" lässt ... das war weitgehend bewusst so angelegt, dieser Film ist mit Absicht so lang geworden (fünf Stunden, Anm.). Weil sich die, die Film als Ware handeln wollen, schwer tun sollten ...

(Himmel und Erde lief im Juni 1983 — originalgetreu in zwei Teilen — im Bayerischen Fernsehen, im Juli/August 1985  — zerlegt in drei Teile — im Norddeutschen, Westdeutschen, Hessischen, Bremer und Berliner Fernsehen und im Oktober 1985 im Österreichischen Fernsehen, Anm.)

Michael Pilz:
Soll mit dem Film passieren, was passieren kann. Das einzig Wichtige daran — und das ist ein Leiden —, ist das finanzielle Überleben. Irgendwo müsste der Film verkauft werden, damit ich überleben kann. Das ist pervers in unseren Breiten, dass man von der Arbeit nicht leben kann. Weil es Arbeiten gibt, die einfach unbezahlt sind ... Wenn ich zusammen zähle, was ich bei Himmel und Erde gearbeitet habe, das eigentlich nicht bezahlt worden ist ... Ich hab', weiß ich, um zehn Groschen in der Stunde gearbeitet. Davon kann man nicht leben ...

Christa Blümlinger:
Das ist da das, was ich vorhin mit "Teufelskreis" gemeint hab' ...

Michael Pilz:
Das ist es ja. Ich meine auch (Michael Pilz spricht zum Vergleich über Bunuel, Anm.), ... Der Widerspruch ist angelegt, um den kommt keiner drum herum. Auf der einen Seite gibt es Himmel und Erde, auf der anderen Seite kann ich nicht davon leben, es wäre sinnvoll, wenn Himmel und Erde etwas Geld bringen würde, dazu bedarf es aber bestimmter Menschen und Erwartungen ... Und genau dagegen arbeite ich ja ... Weil in meiner Utopie, die gar nicht so fern ist, gibt es keinen Film mehr ... Der Film ist entstanden in einer Zeit, nicht wo die Technik sich ein Malteser Kreuzes überlegt hat ... ursprünglich "spielte" der film, die meisten Erfindungen kommen aus dem Unbewussten ... Und das Kino ist erfunden worden in einer Zeit, wo man nach Jahrhunderten der Versuche, sich selbst zu erkennen, mit den alten, verfügbaren Mitteln nicht
mehr weiter gekommen ist, bis man sich plötzlich auf einer Photographie und dann auf der Kinoleinwand gesehen hat ...

(M. Pilz spricht über Verantwortlichkeit im Leben, im Film, Anm.)

Michael Pilz:
Die Tatsache, dass der Film ein Medium ist, das es uns möglich macht, nicht mehr so viel zu reisen ...

(M. Pilz spricht über das Leiden durch die vermeintliche "Vertreibung aus dem Paradies", Anm.)

Michael Pilz:
Ich versuche jeden Augenblick im Leben so zu leben, dass ich "da" bin.

(M. Pilz spricht über Hoimar von Dithfurth's "Der Ursprung des Lebens", Anm.)

Michael Pilz:
In der Psychoanalyse gibt es einen Kernsatz, der lautet, "Die Trennung ist der Konflikt". Deshalb mache ich Filme, weil mich am Film der Schnitt interessiert. Eine Einstellung — eine Haltung und die Veränderung dieser Haltung. Daraus ersehe ich ein Verhältnis und erkenne ich eine Bewegung.

(C. Blümlinger und M. Pilz sprechen über dessen Beziehung zu den gefilmten Menschen, Anm.)

Michael Pilz:
Ich habe den Leuten in St. Anna und Obdach immer gesagt, ... wir haben uns Briefe geschrieben, haben uns getroffen ... Wir kennen uns einfach, wir verstehen uns, wir brauchen nichts reden. Wir können Speck schneiden oder zusammen in den Wald gehen ... Aus diesen komplexen Erlebnissen ist irgendwo ein Abfall entstanden, der ist auf Zelluloid gebannt. Ich hab' auch Leute getroffen, die machen selber Filme, die haben das vollkommen verstanden, wir haben uns aber auch nicht unterhalten darüber. Das ist auch nicht notwendig, ich hab' gesehen, dass die das genau so sehen. Du kannst auch von Menschen getrennt sein und trotzdem kannst du das Gefühl haben, zusammen zu sein. Jede Trennung unter Menschen ist immer nur scheinbar mit einem Verlust verbunden.
... Der Dokumentarfilm hat es besonders schwer, weil er sich so sehr dieser konkreten Gegenstände bedienen muss, weil es ihm so schwer gelingt, die konkreten Gegenstände so zu filmen, dass man eigentlich den Durchblick hat. Denn es geht ja nicht um die Dinge, sondern es
geht um den Geist hinter den Dingen, nicht um die Verhältnisse, sondern um den Geist hinter den Verhältnissen. Es geht beim Film nicht um das, was "in" den Bildern ist, sondern um das, was hinter den Bildern ist. Es geht dabei, wenn ich das Handwerk meine, um den Schnitt. Das heißt, es geht nicht nur um den Bildschnitt, sondern auch um das vielfältige Verhältnis der Bilder zu den Tönen, der Tönen untereinander und so fort.
Da kann man bestimmte Gefühle erzeugen, auch beim Dokumentarfilm, indem man sich dieser Bilder und Töne so bedient, dass man etwas von dem, was man empfindet, darstellt ...
Der Film hat sich seine Dominanz Ende der Fünfzigerjahre von der Musik nehmen lassen, weil es ihm nicht gelungen ist, sich weiter zu entwickeln. In seiner Sprachform hat er sich nur mehr wiederholt. Eine Antwort darauf war beispielsweise in Frankreich die Nouvelle Vague ...

(C. Blümlinger und M. Pilz sprechen über die deutsche Filmkultur, Anm.)

Michael Pilz:
Ich habe das Gefühl, dass es in Österreich etwas gibt, das die Möglichkeit böte, wirklich ganz anders zu arbeiten als in den meisten anderen Ländern. Das liegt nicht am Geld ...
Zum Beispiel bin ich jemand, ich lese fast nichts (zur Zeit!, Anm.), ich schau mir kein Fernsehen an, ich hab' kaum Freunde, geh nie in Kaffeehäuser, ich geh fast nie ins Kino, geh nie in ein Restaurant essen, wenn ich wohin gehe, dann passiert das auf Veranlassung einer anderen Person. Ich versuche, in meinen Bedürfnissen hauszuhalten ...

(M. Pilz spricht davon, dass er in diesem Gespräch ausnahmsweise viel spricht — über Erziehungsmethoden — über die Methode des Verbietens — die sadistisch–masochistische Seite eines typisch österreichischen Verhaltens, die auch ihn geprägt hat — Mensch im Kollektiv — Bewusstwerdung und Erziehung, Anm.)

Michael Pilz:
Ich hab' immer gesagt, was uns Städter — vermeintlich — vom Leben der Bergbauern in den Bergen trennt, diese Trennung machen wir selber, weil wir uns so sehr an Äußerlichem orientieren ...

(M. Pilz spricht weiter zu Himmel und Erde, Anm.)

Michael Pilz:
(Er wählt einen Vergleich mit dem Buddhismus) ... Menschen neigen im Allgemeinen dazu, Bewegungen zu töten und oder sie festzumachen, wie beim Film ein Bild stehen zu lassen ... Der Film ist nichts anderes als die Darstellung des Widerspruchs zwischen Materie und Geist ... Es gibt kein Medium, das in dieser Hinsicht augenfälliger wäre ... Deshalb geht es in meinen Filmen auch immer wieder darum, dem Zuschauer mitzuteilen — man könnte einen Zwischentitel machen —, "das ist ein Film" ...

(M. Pilz spricht von einem Beispiel, als in Budapest eine Filmcutterin nach der Länge eines gefilmten Tunnels fragte ..., Anm.)

Michael Pilz:
Verantwortlichkeit ist, dass man einen Film so macht, dass alles in einer bestimmten Beziehung zueinander steht, das heißt, im Film haben wir es mit vierundzwanzig Bildern pro Sekunde zu tun ... Genau gesehen müsste jedes einzelne Kaderbild und jeder einzelne diesem Kaderbild zugehörige Ton, zu jedem anderen Kaderbild und jedem anderen Ton des Films in Beziehung stehen. Alles müsste miteinander zu tun haben ... In einer gewussten Beziehung ...
Beim Dokumentarfilm ist das noch viel schwieriger als beim Spielfilm, weil beim Spielfilm kannst du, wenn du genügend Geld hast, alles so kontrollieren, schon im Vorhinein, dass bei der Inszenierung, beim Schnitt und bis zur Projektion auf die Leinwand nichts sozusagen durch die Finger rutscht, was nicht wirklich, absichtlich gemacht ist, aber beim Dokumentarfilm gibt es das nicht. Da filmst du zum Beispiel auf der Strasse, ohne dass du die Fußgänger kontrollierst ... Also, was ist da der Prozess? Ich denke, es geht weniger um das, was ist, sondern eher um die Wahrnehmung dessen, was geschieht und das entzieht sich weitgehend unserer Kontrolle ...

(M. Pilz wählt als Beispiel eine Szene, die er kürzlich für seinen Spielfilm Noah Delta 2 in Budapest im Freien drehte, in der sich während des Drehs — wie beabsichtigt — tatsächlich nichts bewegte, Anm.)

Michael Pilz:
Bei Himmel und Erde wurde, als wir gedreht haben, nichts Konkretes voraus geplant, nichts inszeniert, es wurde nichts abgesprochen — ich hab' mit den Leuten nie geredet, da oben, über das Filmemachen. Ich hab' auch schon manchmal — und das ist nicht zynisch gemeint — gesagt, das sei die schönste Zeit gewesen, weil ich überhaupt nichts arbeiten musste. Im üblichen Sinn von Plackerei. Wir haben uns einfach nur unterhalten, irgend etwas gemacht. Das, was die Menschen sonst als Arbeit bezeichnen, ist ja der Begriff der Hölle ...

(M. Pilz spricht über Arbeit und Freizeit bei den Bauern, nicht getrennt; dann über die Arbeiterin in einem Budapester Supermarkt, die sehr frustriert gewirkt hat ... weiters über Sprache, Bewusstsein, Erleben, Anm.)
Michael Pilz:
Angesichts der Fülle zum Beispiel so genannter Dokumentarfilme hab' ich manchmal das Gefühl, ich möchte gar nichts machen, nichts veröffentlichen, wegen der vielen Ungenauigkeiten, gerade in der Vermittlung. Aber dann reizt es mich wieder, zu machen, zumindest etwas davon zu vermitteln, dass es ja um die Verantwortung geht.

Christa Blümlinger:
Ist dann die Montage ein Nachempfinden des Handelns?

Michael Pilz:
Überhaupt nicht. Der Schnitt in einem Film ist immer ein eigener Arbeitsvorgang ... Beim Filmemachen ist zuerst einmal die Idee. Dann gibt es einen Prozess, in dem die Idee und die Wirklichkeit irgendwie im Clinch liegen. Daraus entsteht Arbeit. Und das ist für mich Film. In dieser Arbeit gibt es eine Phase des Drehens, des Montierens, den Anschauens und so weiter, grob gesagt. Diese Phasen sollten getrennt voneinander gesehen werden. Das Schönste wäre, wenn das verschiedene Menschen machen würden, oder wenn das ein Mensch machen würde, der sich aber dessen wirklich bewusst wäre ... Beispielsweise sieht man nach jedem Dreh, was nicht wahrgenommen wurde ... Das Ideal ist es, wenn du immer da, wo du gerade bist, dir dessen bewusst bist, was jetzt gerade ist. Bei Himmel und Erde ist das in hohem Masse so gewesen. Intuitiv. Ich habe das einmal so formuliert, dass ich sagte, wir haben dann zu filmen begonnen, als es zwischen den Leuten dort und mir und dem Georg (der Tonmeister, Anm.) ein unausgesprochenes Einverständnis gegeben hat. Wir waren einfach eins und dann war ganz klar, dass neben den bäuerlichen Arbeitsgeräten auch unsere Kamera da war ... Dieses Selbstverständnis von Leben und Arbeit und Gefühl und Film und Geist und Materie, diese Kongruenz ist selten möglich.
Der Vorteil beim Dokumentarfilm ist, dass er weniger Geld hat, weniger braucht und dass er dadurch weniger kompromittierbar ist, dass er dadruch weniger den Interessen bestimmter Gruppen ausgeliefert ist. Und dass er dadurch ein viel demokratischeres Mittel ist, als der so genannte Spielfilm, der ist eine Hure ...

Christa Blümlinger:
Gibt es nicht gerade für den Dokumentarfilm die Gefahr, dass er sich an das Fernsehen verkauft, Zugeständnisse macht?
Michael Pilz:
Alle diese Techniken, einschließlich der Filmtechnik, werden rein zum Nutzen der Industrien, die sie erzeugen, hergestellt und nicht zum Nutzen der Nutzer ...

(M. Pilz spricht über Hilmar Hoffmanns Experiment, als dieser — als deren Dezernent — in den Hessischen Volkshochschulen Kurse für Super-8-Filmemnacher organisierte, da die Amateure in der Regel keine Ahnung vom Filmemachen hatten ... Technomanie vieler Filmer,  die den Firmen Profite bringt, Anm.)

Michael Pilz:
Video — das ist zwar eine Demokratisierung des Mediums, aber so, wie die meisten Leute es benützen, nützt es schließlich auch nicht viel. Es geht ja eigentlich darum, die eigene Intelligenz und die eigenen Talente zu nützen, um damit diese Industrien zu unterlaufen und intelligent dagegen zu arbeiten, im Sinne des Bewusstwerdens und -machens. Im Kino muss man den Leuten sagen, erstens, dass es Kino ist, zweitens, dass es Film ist, drittens dass es Geld ist, viertens, dass es nicht ein wirkliches, sondern ein scheinbares Ding ist, dass in Wirklichkeit alles in Bewegung ist, dass nichts fest ist und dass es ein subjektives Gefühl ist, das einen ins Kino gehen lässt und dass man nicht irgend welchen Zwängen folgen muss ... Warum gibt es Unterschiede, Vorlieben ...

Ich glaube, dass der Film viel mehr machen kann, als die Leute sich erträumen — es gibt keinen Film, der etwas erreicht hat, was nicht bewusst in ihm angelegt war ...
Kunst hat mit Wissen zu tun ... in den verschiedensten Handwerken hat es immer Meister und Lehrlinge gegeben ...
Es muss das, was wir das Unbewusste nennen, bewusst werden ...
Im Machen begreifen. Du musst beim Filmen zum Beispiel die Kamera halten, auf den Auslöser drücken und los geht's. Das musst du aber möglichst so machen, dass du dabei etwas begreifst.
Bei Himmel und Erde war es ja nicht so, dass man etwas inszenieren konnte, oder sich etwas vorstellen konnte, sondern da ist etwas passiert und wir haben das gedreht ... du musst dich halt irgendwie einlassen auf die Geschichte, auf die Ereignisse. Und das passiert dann, wenn du wirklich da, wo es passiert, erkennst. Verantwortlichkeit ... Möglichst viel von dem erkennen, was einen bewegt, was einem Angst macht, einem das Gefühl von Sehnsucht vermittelt, im Hinblick darauf, was es ist, nicht was es bedeutet ...
das Kino ist ein Beweis dafür, dass es einen Sinn hat, nämlich den Sinn, zu erkennen, sich selbst zu erkennen ...

(M. Pilz spricht von seinen Utopien: der filmlosen Zukunft ... von Erziehung, Anm.)
Christa Blümlinger:
Hat sich deine Entwicklung — was Film betrifft — viel eher auf einer inneren Erfahrungsebene abgespielt als anderswo?

Michael Pilz:
Ich hatte das Glück, dass ich mit dem Filmen nie wirklich und genügend Geld verdient habe. Ich habe nicht einmal soviel Geld verdient, dass ich sagen könnte, die Arbeit hat sich gelohnt. Das war wahrscheinlich ein Vorteil, weil ich damit den Zugang zu sublimerem Begreifen fand, zu leidvollem Erfahren  ... Scheinbar ... Ich bin Autodidakt ... Meine ersten Erfahrungen ... Mein Vater hatte eine Bolex–Kamera für Super-8-Filmemnacher gehabt, da war ich vierzehn Jahre alt, da hatte ich viel damit gefilmt. Er ist zum Fischen gefahren in die obere Steiermark und ich hab' gefilmt und hab mir das dann auch angeschaut. Dann war eine Zeit nichts mit Filmen, dann hab' ich fotografiert. Und im Alter von etwa achtzehn oder zwanzig Jahren hab' ich mit Normal 8 mm gefilmt. Ich hab' alles versucht, wozu ich beim Experimentieren gekommen bin. Ich hab' nie den Anspruch gehabt, damit groß nach Außen zu gehen, andere haben das gemacht, mit viel ungenaueren und weniger guten Arbeiten. Dann habe ich angefangen mit 16 mm Film, einfach so, irgendwie, mit zusammengesuchtem Geld, hab' alles mögliche damit versucht. Dann hab' ich mir auf dieser Wiener Filmschule ... anfänglich in der Türkenstrasse und dann in der Akademie der Bildenden Künste am Schillerplatz, so in Jahr lang ... Da war ich mehr im Kaffeehaus und im Kino ... Weil es dort für mich eigentlich nichts zu lernen gab, meinem Gefühl, meinem Bedürfnis nach. Und so irgendwie, Anfang der Siebzigerjahre, habe ich dann beim Fernsehen irgend etwas machen müssen, weil ich kein Geld gehabt hab'. Das Fernsehen hat überhaupt nicht existiert für mich. Weder als Zuschauer, noch als Broterwerb. Die sieben Jahre, die ich dann doch beim Fernsehen gearbeitet habe, waren für mich ein einziger Stress. Weil alles das, was ich gemacht habe, in dieser Form beim Fernsehen keine Gültigkeit hatte. Das haben sie nicht begriffen ... Seit damals mach' ich es Gott sei Dank nicht mehr.
Das heißt, dass man sich gewöhnen muss daran, etwas durchzustehen, um nicht dann, nur wenn's einem schlecht geht, die Kompromisse zu machen, irgend etwas zu machen, was eigentlich moralisch nicht vertretbar ist. Auch wenn  man sich einmal das Schnitzel nicht kaufen kann ...

(M. Pilz spricht über seine jüngsten Erfahrungen des Fleischeinkaufs in Budapest und über die Zensur in Ungarn, Anm.)

Michael Pilz:
Deswegen hat es der Dokumentarfilm besonders schwer: Weil es bisher nicht gelungen ist, die gegenständliche Welt durchsichtiger zu machen. Ich hatte mir vor den Arbeiten zu Himmel und Erde ein paar Sachen angeschaut, die ich bis dahin nicht gekannt hatte, die wichtigsten aus diesem Genre waren mir bekannt, doch da gibt es nichts, aber wirklich nichts darunter, was annähernd dem entsprochen hätte, was ich vorhatte. Ich hab' dann noch in der Folge den (Georges, Anm.) Rouquier getroffen, in Kanada und in Frankreich, der "Farrebique" gemacht hat, 1942, in Frankreich, "den" Dokumentarfilm in Frankreich, mit Bauern — des is also ein derartig inszenierter "Schas" ... Und die Filme von (Frederic, Anm.) Wiseman kannst du auch zum Teil weglegen. Das ist alles nichts, die zeigen dir nur die Gegenstände, die transportiert werden. Jeder auch noch so befangene Film von Godard oder Bunuel ist mir lieber als diese Dokumentarfilme. Da ist mir der Film von (Klaus, Anm.) Wildenhahn — weil ich ihn persönlich auch sehr gut kenne und schätze und wir ganz gut reden können, obwohl's Unterschiede gibt — über die Pina Bausch wirklich lieber als alles andere, was da am Sektor Dokumentarfilm passiert ist. Weil plötzlich macht der Herr Wildenhahn einen Film mit einer Frau. Mit "so" einer Frau. Mit einer kreativen Frau wie der Pina Bausch, dieser Tänzerin aus Wuppertal. Und er macht den Film mit einem anderen Kameramann und so weiter. Und schau dir das an. Natürlich kannst du da noch sagen, es ist unwichtig. Tänzerin und so weiter. Aber die Bilder musst du dir anschauen. Das ist schon viel, viel besser. Der Film muss der Geschichten entkleidet werden ...

(M. Pilz spricht weiter über Musik, beispielsweise über Bela Bartoks "einfache" Kinderlieder — "Zweieinhalb–Minuten–Kurzfilme", Anm.)

Michael Pilz:
Da ist es mir noch lieber, wenn der (Peter, Anm.) Kubelka sagt, zur Afrikareise — seinem Film "Unsere Afrikareise" —, das ist "ein Film über Autorität und Sexualität". Und ein anderes Mal sagte er, "das ist ein Film über Katholizismus". Das ist noch wirklich ein genialer Film ...

Christa Blümlinger:
Hast du deshalb kaum Kontakt mit anderen Filmschaffenden außer zu Bernhard Frankfurter?

Michael Pilz:
Ich wüsste auch nicht, warum. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich zur Zeit etwas zu arbeiten habe. Wenn ich solche Kontakte hatte, dann waren das wahrscheinlich kompensatorische Versuche, weil ich nicht arbeiten konnte ...
Es ist eine Form der Sprache. Wenn ich mit Menschen, die filmen, zusammensitze, dann beginnt es damit, man kann gemeinsam arbeiten — was kann man machen? Wenn man als filmender Mensch mit einem anderen filmenden Menschen zusammen sitzt, dann macht man in der Regel keine Filme, sondern man spricht, zum Beispiel, oder man kocht ... Wo die Sprache das Mittel der Arbeit ist, tu ich mir am schwersten, weil — im Moment kenn' ich nur den Walter Marti in der Schweiz und den Klaus Wildenhahn ... Ich wüsste nicht, mit wem ich zusammen arbeiten sollte. Seit fünf Monaten bin ich in Ungarn, alleine. Ich wüsste nicht, mit wem ich was reden sollte, weil es versteht mich eh keiner. Deswegen mache ich ja vermutlich Filme. Die einzige Chance, die ich habe (mit dabei in Budapest aren eine Zeit lang Frau und Kind, Anm.).
Eine Möglichkeit gibt es noch, die Dinge anders zu vermitteln. Ich bin noch nie eingeladen worden auf einer Schule, die Dinge anders als wie gewöhnlich zu vermitteln ...
Der Dokumentarfilm könnte viel abstrakter sein als der Spielfilm. Deshalb ist jede Form der Bezeichnung falsch ...

(M. Pilz spricht weiters über Auftragsfilme, Anm.)

Michael Pilz:
Das einzige, dem ein Film verpflichtet sein dürfte, wäre das Material, wären die Bilder und Töne, aus denen er besteht ...

Christa Blümlinger:
Hältst du es für sinnvoll, dich kulturpolitisch zu engagieren?

Michael Pilz:
Das einzige, wofür ich mich engagiere, sind meine Filme. In Österreich müsste man radikale Filme machen, aber auch nur mit den dafür nötigen Mitteln. Man dürfte zum Beispiel einfach Filme nicht mehr schneiden. Oder Filme machen, ohne durch den Kamerasucher zu schauen. Man müsste Filme ohne Ton machen. Man müsste Muster (gefilmtes und nicht geschnittenes Rohmaterial, Anm.) auf die Leinwand schicken. Aufnahmen, bei welchen die Kamera gerade einmal ein paar Bilder hoch lief, oder am Ende, bevor sie stillstand (jene Bildkader, die in der Regel weg geschnitten werden, weil darin die Bilder erst entstehen, beziehungsweise wieder vergehen, Anm.), Filme, in denen sich überhaupt nichts bewegt ... Aber die Norm ist halt, dass es keinen Sinn hat, wenn jemand so etwas, denn dann ist man der Trottel der Nation ...
Man muss sich auch überlegen, was man mit den fertigen Filmen macht ...
Man sollte in Österreich vielleicht zehn Jahre lang überhaupt keine Filme machen. Wenn sich die Umstände, etwas sinnvolles zu machen, schon als so schwierig zeigen, ist es doch pervers, immer größere Anstrengungen zu machen ... Möglicherweise gibt es ein kollektives Unbewusstes, das sich ausdrücken möchte im Film ... Wenn jemand Filme machen will, soll er Filme machen. In jedem Fotogeschäft kann man Material für Super 8 mm kaufen ...

(Michael Pilz schildert, wie man auf eine technisch sehr einfache Weise 8 mm Film auf 16 mm Film übertragen kann, um dadurch wesentliche Kosten zu ersparen, Anm.)
Christa Blümlinger:
Betrachtest du dich in deinem Filmschaffen als innerer oder äußerer Emigrant?

Michel Pilz:
... Ich meine, die meisten Menschen, die sozusagen gezwungen waren, wegzugehen ..., zählen schon zu den glücklicheren Menschen, weil sie einen Weg gehen. Die Frage ist nur, wo der hinführt. Die Tatsache, dass Fritz Lang nach Berlin gegangen ist und von Berlin nach Amerika und dann wieder zurück, ich glaube, dass diese Tatsache nicht zu verwechseln ist mit dem, was damals so vielen Menschen passiert ist. ich glaube, dass im Falle Fritz Langs ein außerordentlich talentierter Handwerker unterwegs war, der gar nicht andere Bedingungen finden konnte ...

(M. Pilz spricht über Amerikaner, die viel mobiler sind als wir, die im Wohnmobil reisen, leben ..., Anm.)

Michael Pilz:
... Emigrieren. Wieso hat das immer einen negativen Beigeschmack? ... Doch nur, weil man glaubt, dass man da, wo man ist, lieber ist, als da, wo man vielleicht morgen ist. Emigration ist eigentlich etwas ganz Natürliches ... Mit dem Jean Eustache hab' ich auch einmal aus dem Konflikt heraus geredet, aus dem er sich dann umgebracht hat. Er hat immer gesagt, es ist ihm ganz egal, welche Leute seine Filme sehen ... Weil er so gute Filme macht, die eigentlich erst in zweihundert Jahren verstanden werden. "Das ist ein Blödsinn", hab' ich gesagt, "du lebst heute, jetzt und du redest einen Quatsch, weil du dich in die Zukunft von zweihundert Jahren stellst ...Weil wenn du ein Anliegen hast, das nur mit dir zu tun hat, dann kannst du dich ja gleich umbringen". Das hat er leider ein paar Jahre danach auch getan. Was man sich für sich selbst wünscht, muss nicht das Ziel aller sein ...

(Michael Pilz erklärt, dass er als Filmemacher vor allem  FILME MACHEN will, arbeiten, arbeiten ... Und weiters zur Filmkommission im Bundesministerium für Unterricht und Kunst im Zusammenhang mit seinem Film Himmel und Erde, Anm.)

Michael Pilz:
Im Klartext haben die (die Mitglieder der Jury der Filmförderung, Anm.) gemeint, der Film muss vermarktbar sein, es darf nicht eine autistische Spielerei sein ... Etwas Entscheidendes war ein Bauer in dieser Gegend (Obdach, Anm.), der mir gesagt hat, weil ich ihn gefragt hatte, ob ich ihn im Wald beim Bäume Schlägern filmen darf — er war sehr kurz angebunden, hatte kaum Zeit, vor seinem Mittagessen —, dass ihm das überhaupt nicht taugt, dass irgendwo auf der Welt dann Leute im Kino auf bequemen Sesseln sitzen und zuschauen, wie er da im Wald schwer arbeitet. Das war eigentlich "die" entscheidende Bemerkung am Anfang der Dreharbeiten zu meinem Film. Ab diesem Moment war mir klar, dass es darum geht, die Arbeitslosigkeit zu überwinden. Er hat quasi gesagt, "Stell' erst eine Welt her, wo alle arbeiten, dann lass' ich mich filmen", womit er
recht hat. Dazu wäre der Dokumentarfilm sehr, sehr wichtig. Es ist ja hirnrissig, dass sich die Leute überlegen, "was" sie filmen sollen. Du brauchst ja nur eine Kamera in die Hand zu nehmen und ununterbrochen zu filmen. Du musst nur schauen, dass "du" drauf bist, dass du begreifst, was du da machst, konkret in diesem einen Bild und im nächsten ... Und dann auch noch, was du machst, wenn du Bild zu Bild montierst ... Unter dem Zwang der Auftragssituation von Fernsehstationen und von Filmförderungsgremien besteht ja auch schon die Notwendigkeit, sich zu überlegen, was man filmt. Und da beginnt die erste Zensur ...
Im Konzept zu Himmel und Erde war es so: Da stand drin, auf dreißig oder vierzig Seiten, der Gegenstand des Films, da hab' ich alles hineingeschrieben, was ich damals in einem Jahr gehört, gelesen, studiert und was weiß ich erfahren hatte über die Situation der Bergbauern, zwanzig Seiten die Situation der Bergbauern, in alle möglichen Richtungen, aus allen mir möglichen Perspektiven gesehen. Und die anderen zwanzig Seiten waren einfach eine Beschreibung des Filmens. Des Plans. Da stand drin, dass gefilmt werden sollte, einfach das, was zwanzig Seiten vorher beschrieben wurde, simpel, sachlich, die Situation der Bergbauern in diesem Land und dann ist geschrieben worden, dass man das filmen wird und dass man dann das Filmmaterial anschauen und sehen wird, was drauf ist und dann  wird man aus dem Filmmaterial einen Film schneiden. Und das wird halt solange dauern, bis es fertig ist. Vielleicht drei, vielleicht sieben Jahre. Es war nicht so krass geschrieben — aber es war schon
die Rede davon, dass man drei Monate dreht und ein Jahr schneidet ... Auf jeden Fall stand drinnen, dass die Geschichte aus sich heraus entstehen sollte und nicht von außen bestimmt ...

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